LESEPROBE: WOHNEN

WOHNEN zwischen Schutzbedürfnis und Luxus zwischen gestern, heute und morgen Hannes Hansen Magdalena Broda – Henning J. Grabener Foto v. l. n. r.: Ron Porter, Pixabay | Randy Jost, Pixabay | Rudy and Peter Skitterians, Pixabay | Udo Röbenack, Pixabay

WOHNEN zwischen Schutzbedürfnis und Luxus zwischen gestern, heute und morgen Hannes Hansen Magdalena Broda – Henning J. Grabener

© 2024 | Grabener Verlag GmbH | Kiel Fachverlag der Immobilienwirtschaft Niemannsweg 8 | 24105 Kiel Telefon 0431 560 1 560 E-Mail: info@grabener-verlag.de www.grabener-verlag.de Herausgeber: siehe oben Autor: Hannes Hansen Co-Autoren: Magdalena Broda, Henning J. Grabener Layout Umschlag/Satz: Magdalena Broda Lektorat: Gunna Westphal Technik: Leo Kont Titelbild v. l. n. r.: Ron Porter, Pixabay | Randy Jost, Pixabay | Rudy and Peter Skitterians, Pixabay | Udo Röbenack, Pixabay Weitere Bilder: siehe Text im Bild Alle Informationen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Eine Garantie für die Richtigkeit sowie eine Haftung können Autoren und Verlag jedoch nicht übernehmen. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie der Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, vorbehalten. Preis 7,50 Euro [D] 2. Auflage 2024

- 5 - 6 Was bedeutet "wohnen" eigentlich? 6 Vom Baumnest zur Höhle – Die Behausungen von Vor-, Ur- und Frühmensch 8 Viehzüchter und Ackerbauern – Die neolithische Revolution und ihre Folgen 12 Paläste und Hütten – Von ersten Hochkulturen zur Antike 16 Von Langhaus bis Geschlechterturm – Wohnen im Mittelalter 18 Paläste, Schlösser und Elendsquartiere – Wohnen im Renaissance- und Barockzeitalter 20 Von Stadtvillen und Mietskasernen – Wohnen im Zeitalter der Aufk lärung und der Industrialisierung 23 Von Wolkenkratzern und Wohnmaschinen – Die Moderne 26 W ohnmaschinen und Baracken – Nachkriegsmoderne und Gegenwart 29 Von Holzhochhäusern, senkrechten Wäldern und Megastädten – Die Zukunft hat bereits begonnen 30 Literatur 30 32 Der Autor 32 Inhaltsverzeichnis Foto: Terje Ansgar Eriksen, Pixabay Foto: Ryan Grech, Pixabay Foto: Susanne, Pixabay 18 Paläste, Schlösser und Elendsquartiere 23 Von Wolkenkratzern und Wohnmaschinen 08 Viehzüchter und Ackerbauern

- 6 - Was bedeutet "wohnen" eigentlich? Meistens versteht man unter einer Wohnung einen abgeschlossenen Raum oder ein Ensemble zusammenhängender Räume. Zu wohnen befriedigt Urbedürfnisse wie den Schutz vor Feinden und den Unbilden der Witterung, den ungestörten Schlaf, die Essenszubereitung, gemeinsames Essen, Feiern oder auch die Vorratshaltung. Wohnen kann man in Einzelhäusern, in Etagenwohnungen, Hütten, Zelten, aber auch in Wohnmobilen oder Hausbooten. Weitere Bedürfnisse wie das nach Repräsentation und Machtdemonstration ziehen sich durch die Jahrtausende. Denken wir nur an den prachtvollen Palast von Knossos auf Kreta oder die Villenanlagen reicher Römer, etwa die berühmte Domus Aurea, das „Goldene Haus“ des größenwahnsinnigen Nero auf 80 Hektar Grundfläche. Auch die Residenzen mittelalterlicher Kaiser und Fürsten dienten nicht nur nebenbei solcher Machtdemonstration. Die Kaiserpfalz in Goslar oder die Burg Dankwarderode Heinrichs des Löwen sind bekannte Beispiele aus Deutschland. Die Medici und andere reiche Kaufmannsfamilien ließen sich im Florenz der Renaissance prächtige Palazzi bauen. Die weltlichen Fürsten demonstrierten, dem Beispiel Versailles nacheifernd, ihre Geltungsansprüche mit aufwendigen Schlossanlagen. Die Neuzeit sieht die Villen reicher Bürger wie in Hamburg entlang der Elbchaussee. In Hollywood prahlen Schauspieler und Produzentenmoguln mit Prunk- und Prachtbauten, und auch die himmelwärts stürmenden Hochhausbauten arabischer Scheichs sagen laut und deutlich: „Wir haben’s ja.“ Sie alle demonstrieren im besten und geschmackvollsten Fall nicht nur Geltungsbedürfnis, sondern eben auch Kunstsinn und ästhetischen Anspruch, im schlimmsten und vulgärsten Fall Gier und Geld. Vom Baumnest zur Höhle – Die Behausungen von Vor-, Ur- und Frühmensch Vor sechs bis sieben Millionen Jahren trennten sich in Afrika die Stammeslinien der Menschenaffen und der Vormenschen. Die zahlreichen, heute durchweg ausgestorbenen Vertreter der Gattung schliefen und ruhten wohl, wie ihre äffischen Verwandten auch heute noch, in Baumnestern aus Zweigen, Farnen und anderen Pflanzen und ernährten sich in dem damals paradiesisch feuchtwarmen Klima ganz überwiegend vegetarisch. Als es vor etwa zwei Millionen Jahren überall auf der Erde kühler wurde, verließen die bekanntesten unter ihnen, die Australopithecinen, die weniger werdenden Bäume und begaben sich in die Savannen und Steppen. Über Jahrhunderttausende breiteten sie sich in ganz Eurasien bis hin zum fernen China aus. Vor etwa zwei Millionen Jahren entwickelte sich aus ihnen die Gattung Homo, die der ersten Menschen im heutigen Sinne des Wortes. Auch sie spalteten sich in verschiedene Arten auf. Die meisten starben dann nach ein paar Jahrhunderttausenden wieder aus. Einer Art aber gehörte die Zukunft, nämlich dem Homo erectus, dem „aufrechten Menschen“, der sich als Erster seiner Gattung auf den Weg out of Africa machte und Europa und Asien besiedelte. In den Savannen ging er als Sammler und Jäger auf die Hetzjagd. Bild: Wanderungen des Menschen von Afrika über den Nahen Osten, Australien bis hin nach Nord- und Südamerika Der Homo erectus beherrschte bereits das Feuer. Zunächst wurde es wohl eher zufällig entdeckt, nach einem Buschbrand infolge von Blitzeinschlägen etwa. Irgendwann fand unser ferner Vorfahr heraus, dass man durch Gegeneinanderschlagen von Silex (Feuerstein oder Flint) und eisenhaltigem Pyrit Funken erzeugen und mit ihnen Büschel aus trockenem Gras oder Moos zum Brennen bringen konnte. Jetzt konnte er kochen und grillen, was die Nahrung leichter verdaulich machte, die Kalorienzufuhr erleichterte und damit die Größe und Leistung des Gehirns förderte. Auf seinen Wanderungen durch die Savannen schlief und ruhte der Homo erectus in Windschirmen aus Zweigen, Rinde und Gras, eine Form der Behausung, die bis heute für alle Gesellschaften von Wildbeutern typisch ist und etwa bei australischen Aborigines beobachtet werden konnte. Die Strandmuschel des modernen Freizeitmenschen und die Biwakzelte von Alpinisten und Wanderern mag man als die modernen Versionen solcher temporären Behausungen ansehen, Eigene Darstellung nach: Spektrum Online, Anthropogenese / https://www.spektrum. de/lexikon/biologie-kompakt/anthropogenese/716 | Geo Kompakt Ausgabe 4/2005 vor ca. 100.000 Jahren vor ca. 200.000 Jahren vor ca. 100.000 Jahren vor ca. 50.000 – 70.000 Jahren vor ca. 40.000 Jahren vor ca. 12.000 – 40.000 Jahren vor ca. 13.000 Jahren vor ca. 13.000 Jahren

- 7 - und Baumflüsterer und Hippies können voller Stolz auf das hohe Alter ihrer „Wohnungen“ blicken. In kälteren Gegenden, in waldreichen Gebieten und auf Grassteppen errichtete der Homo erectus dauerhaftere Behausungen, die durchaus schon als Wohnungen zu bezeichnen sind. Hütten aus Bäumen und Zweigen, die er mit Rinde, mit Gras oder Torf und vielleicht auch mit Tierhäuten bedeckte, dienten dem Schutz vor wilden Tieren wie dem Höhlenlöwen, dem Säbelzahntiger oder dem riesigen Höhlenbären. Sie boten zudem Schutz vor Kälte, Sonne und Wind und eine Rückzugsstätte zum Stillen des Ruhebedürfnisses. Foto: Hans , Pixabay Bild: Falkensteiner Höhle, Baden-Württemberg (DE) Foto: hjournal16, Pixabay Bild: Typische Behausungen aus Lehm und Ästen der Himba, Namibia/Angola (NAM/ANG) Vor etwa 800.000 Jahren kommt Schwung in die Geschichte der Menschheit und seiner Behausungen. Eine Unterart des Homo erectus − die anderen sterben wieder einmal aus − entwickelt sich weiter zum Homo heidelbergensis, und der wiederum wird vor ungefähr 300.000 Jahren in Europa zum Stammvater des Homo neanderthalensis, des Neandertalers. Vor etwa 130.000 Jahren, also während der letzten Eiszeit, kommt er nach Deutschland. Dieser nächste Verwandte des heutigen Menschen war alles andere als der tumbe Primitivling, als den man ihn bis noch vor wenigen Jahrzehnten ansah. Er konnte vermutlich sprechen und stellte Steinwerkzeuge wie Schaber und Lanzenspitzen her. Mit Lanzen ging er in den Steppen Europas und Asiens auf die gemeinschaftliche Jagd nach Mammuts, Pferden, Rentieren und Hirschen. Schutz gegen Kälte und große Raubtiere boten Zelte und Hütten, die wegen der temperaturausgleichenden Wärmespeicherfähigkeit des Erdbodens in diesen eingetieft waren. Noch in jüngster Zeit errichteten Eskimos in Kanada solche Erdhütten, und auch in Island sind sie bekannt. In der Ukraine fand man Reste von Hütten, die aus Mammutknochen und -stoßzähnen konstruiert waren, eine Grundfläche von etwa 35 Quadratmetern und Platz für zwei Feuerstellen hatten. Am besten erhalten aber sind die Behausungen, die sich der Neandertaler unter Felsüberhängen und in natürlichen oder künstlich erweiterten Felshöhlen schuf. Sie hielten in allen Jahreszeiten die Temperatur konstant und konnten mittels eines Feuers am Eingang auch leicht gegen wilde Tiere wie die gewaltigen, bis zu 3,5 Meter großen Höhlenbären verteidigt werden. Hier fertigte der Neandertaler vermutlich auch Körperschmuck und vielleicht sogar Kunstwerke an. Jedenfalls deuten Ritzungen auf Tierknochen darauf hin. Aus einer dieser Höhlen, dem Bombrini-Felsüberhang in Norditalien, ist sogar eine räumliche Differenzierung bekannt. Es scheint, als hätten die Menschen dort verschiedene „Wohnräume“ für Tierschlachtung, Vorratshaltung, Aufenthalt und Werkzeugherstellung benutzt. Dass es sich auf diese Weise durchaus kommod leben lässt, beweisen heute noch bewohnte Höhlen, etwa in der französischen Dordogne oder im tief in das Kalksteinplateau eingeschnittene Tal des Lot in der Region Okzitanien. Für Sammler und Jäger war das Leben vergleichsweise bequem. Anthropologen schätzen, dass in wildreichen Gegenden Jäger nicht mehr als vier Stunden täglich zur Nahrungsbeschaffung brauchten. Vor ungefähr 150.000 Jahren erschien der Homo sapiens, der Jetztmensch, auf der Bildfläche. Auch er entwickelte sich in Afrika aus dem Homo erectus. Vor etwa 75.000 Jahren machte sich eine Gruppe von ihnen wieder einmal auf den Weg out of Africa und hatte schon drei Jahrzehntausende später ganz Europa und Asien, ja sogar Australien erreicht. Die Beziehung zu den Neandertalern scheint eine gewisse Zeit lang nicht nur von Konkurrenz und Kampf geprägt worden zu sein. Jedenfalls lassen die etwa vier Prozent von Neandertaler-Genen bei heutigen Europäern – in Afrika fehlen sie – darauf schließen, dass man sich,

- 8 - ergab sich die Gelegenheit, durchaus gewogen war. Oder waren diese frühen Neandertaler-Homo-Sapiens-Begegnungen weniger von gegenseitiger Sympathie als von Me-too-Anlässen geprägt? Wir wissen nicht, was in dunklen, nur sparsam von flackernden Feuern erhellten Höhlen, an deren Wänden gespenstige Schatten tanzten, oder auf freiem Feld vor sich ging, und können nur das Schlimmste befürchten und auf das Beste hoffen. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass vor 40.000 Jahren der Neandertaler ausstarb und der Homo sapiens als einzige Menschenart die Erde zu bevölkern begann. Warum das geschah, ist bis heute ein Geheimnis: Mord durch seinen wendigeren Verwandten, den Homo sapiens? Nahrungsmittelmangel, eine Epidemie? Die Wissenschaft tappt im Dunkeln. Unser direkter Vorfahr scheint zunächst nicht sehr viel anders als sein Vetter, der Neandertaler, gelebt zu haben. Auch er liebte es, in Höhlen zu wohnen. Allerdings kam es im Vergleich zu ihm zu ungleich gesteigerter und qualitätsvollerer Kunstproduktion. Die Bilder von Tieren und Menschen in den Höhlen von Lascaux in Frankreich und dem spanischen Altamira reißen die Besucher zu enthusiastischen Äußerungen hin. Über ihre Funktion jedoch streiten sich die Gelehrten. Mal soll es sich bei ihnen um beschwörenden Jagdzauber handeln, dann wieder wird ein kultisch-religiöser Hintergrund vermutet oder aber Anschauungsunterricht für angehende Jäger. Genauso schwierig ist die Frage, ob diese Bildergalerien überhaupt im eigentlichen Sinne „bewohnt“ waren oder ob diese Orte nur zu besonderen Gelegenheiten wie einem Festmahl oder dem steinzeitlichen Äquivalent einer kirchlichen Messe aufgesucht wurden und man sich nach der Feier doch wieder in seine ungleich bescheidenere Höhle, in ein Zelt oder in eine Hütte trollte. Bild: Vereinfachte Darstellung einer Höhlenmalerei aus den Höhlen von Lascaux Viehzüchter und Ackerbauern – Die neolithische Revolution und ihre Folgen Um 12.000 v. Chr. kam es im Vorderen Orient zu einer Veränderung, die die Geschichte der Menschheit ebenso prägen sollte wie sehr viel später die Erfindung des Buchdrucks und die digitale Revolution unserer Tage. Die sogenannte neolithische Revolution ist gekennzeichnet vom Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise, vom Sammeln und Jagen zu Ackerbau und Viehzucht. Ein Prozess, der sich an die 7.000 Jahre hinzog, bis die mit ihm einhergehenden Veränderungen auch Mitteleuropa erreichten. Foto: Chris Stenger ,Pixabay Bild: Heutige Reisfelder in China (CHN) Irgendwann um die genannte Zeit müssen die Menschen entdeckt haben, dass sich aus den Überresten gesammelter Pflanzen beziehungsweise aus versehentlich weggeworfenen Körnern von Emmer, Einkorn, Gerste oder Dinkel rund um ihre Lagerstätten neue Pflanzen entwickelten und dass man folglich diese auch gezielt anbauen konnte. Diese Entdeckung geschah vermutlich an verschiedenen Orten der Erde − wenn schon nicht gleichzeitig, so doch unabhängig voneinander. Ein weiterer Geistesblitz bei einem oder wahrscheinlich mehreren unserer frühen Vorfahren, vermutlich der im Lager bleibenden Frauen, war dann die Überlegung, dass sich durch geregelte Aussaat und Zuchtwahl der kräftigsten und ertragreichsten Pflanzen und ihrer zufälligen Mutationen diese weiterentwickeln und so ein Mehr an Nahrungsmitteln produzieren ließ. Das geschieht in Gegenden, wo Bodenbeschaffenheit und Klima den Ackerbau ermöglichen, in den „grünen“ Gegenden des Vorderen Orients, dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond, in Syrien also, in Jordanien, dem Libanon, in Südwestanatolien und am Rand der arabischen Wüste. Schweine, Hühner, Gänse und Enten werden ebenso wie die Katze – ein notwendiger Mäusefänger in den Kornspeichern – domestiziert.

- 9 - Der Ackerbau dehnt sich später zu den Flussoasen der großen Ströme Asiens und Afrikas aus. Damit im Zusammenhang steht ein komplexeres Sozialsystem, die Entwicklung von Hierarchien, von Privateigentum und Aufschwung von Wissenschaftsdisziplinen wie Mathematik, Astronomie, Landvermessung oder Wasserwirtschaft. Und mit alldem kommt es zu neuen Bau- und Wohnformen, zu gewaltigen Tempelanlagen, Palästen und mehrstöckigen Häusern. Am Nil, am Indus oder am Gelben Fluss in China entstehen ebenso wie in Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris erste Hochkulturen. Viehhaltung und Hirtennomadismus entstanden etwa zur gleichen Zeit wie der Ackerbau, und zwar dort, wo Klima- oder Bodenbeschaffenheit diesen unmöglich macht: in den Grassteppen und Savannen Afrikas, Asiens und Europas. Um 9500 v. Chr. kommt es in Anatolien zu einer Zwischenkaltzeit, und die großen Gazellenherden, die Hauptnahrungsquelle der Wildbeuter, verschwinden. Es wird knapp mit der Nahrungsgrundlage, und man geht notgedrungen zur Vorratshaltung der Wildtiere über, die man hinter Busch- und Dornenhecken einpfercht. In der Folge werden aus Jägern Hirten. Am Anfang dieses Prozesses hüten sie Schafherden, dann folgen Rinder und Ziegen. Den zu Viehzüchtern gewordenen ehemaligen Wildbeutern gelingt es im Laufe eines Jahrtausende währenden Prozesses, auch Esel und Pferde, Dromedare, Kamele und Rentiere zu domestizieren, in Südamerika auch – sehr viel später – Lamas und Meerschweinchen. Eine Folge der Wildtierdomestizierung ist der „Pastoralismus“, das Wanderhirtentum, und mit ihm der Nomadismus. Eine nomadische Lebensweise gab es zwar auch schon vorher, aber so lange, wie Großsäugetiere in der Nähe menschlicher Wohnorte grasten, waren weite Wanderungen nicht nötig. Jetzt aber folgen die Hirten mit ihren Tieren einem jahres- und vegetationszeitlich bestimmten Rhythmus. Und mit ihnen der Hund als Wache und zum Schutz der Herde. Nomaden bauen keine festen Behausungen. Sie brauchen schnell auf- und abbaubare Behausungen. Als ideal erwies sich dabei das Zelt, im Prinzip eine Kon- struktion aus Ästen oder Baumstämmen, die mit Tierhäuten, Binsen- oder Filzmatten bedeckt wurden. Im Zentrum der Zelte stand und steht teilweise bis heute die Feuerstelle, um die sich seit jeher zahllosen Mythen ranken. Inwieweit es in den steinzeitlichen, bronzezeitlichen und früheisenzeitlichen Zelten anders als bei den neuzeitlichen Hirtennomaden außer der als heilig geltenden Feuerstelle auch schon eine funktionale Trennung zwischen den Bereichen Wohnen, Schlafen und Vorratshaltung gab, ist unsicher. Bis heute oder zumindest bis vor wenigen Jahrzehnten blieben oder bleiben Zelte bei Hirtennomaden in Gebrauch. Beduinen in Arabien lebten in ihnen, und heute noch laden schwerreiche arabische Herrscher bevorzugte Gäste in riesige Prunkzelte zu Gastmahlen und Falkenjagden ein, auch wenn sie schon lange nicht mehr mit Schafen und Ziegen durch die Wüste ziehen und Dromedare nur als Statussymbole für Rennen halten. Auch in vielen Ländern Afrikas, in Somalia und Mauretanien, in Algerien, Nigeria, Kenya, im Tschad und in Tansania, leben Wanderhirten noch in sogenannten Schwarzzelten aus Ziegenhaar, die oft beträchtliche Ausmaße annehmen können und wenn auch nicht im europäischen Sinne bequem sind, aber doch minimalen Komfort bieten, was Wohnen, Kochen, Schlafen und Schutz vor den Sonnenstrahlen angeht. Foto: Terje Ansgar Eriksen, Pixabay Bild: Heutige Jurte in Lyngenfjord, Norwegen (NOR) Die Tschuktschen, Rentierhirten in Nordostsibirien und Fischer und Jäger von Meeressäugern, hatten (oder haben?) ihre Jarangas, große, mehrere Meter hohe kuppelförmige oder spitz zulaufende Zelte auf kreisförmigem Umriss für ganze Familien. Die wenigen noch als Hirtennomaden lebenden zentralasiatischen Völker der Kasachen, Mongolen und Kirgisen wohnen während ihrer jahreszeitlich bestimmten Wanderungen auch heute noch in Jurten, einer Art weiterentwickelter Zelte mit Scherengittern als Seitenwänden und spitzem Dach. Ein letztes Beispiel noch für temporäre Behausungen sollen die Iglus der Inuit in Kanada und Grönland sein. Diese runden, meist bienenkorbförmigen Schneehütten waren und werden gelegentlich heute noch bei Jagdzügen schnell aufgebaut und bieten Unterkunft für eine Nacht. Größere Iglus von mehreren Meter Umfang und Höhe dienten bis vor etwa 100 Jahren ganzen Sippen einen Winter lang als regelrechte Wohnung.

- 10 - In ganz anderer Weise entwickelten sich die Lebens- und Wohnformen in Ackerbaugesellschaften. Wir kennen sie seit etwa 12.000 Jahren, ihre allerersten Anfänge in der Levante sind wohl noch einmal 3.000 Jahre älter. Zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte kommt es zur Herausbildung von Privateigentum, nicht nur von persönlichen Dingen wie Kleidung und Waffen, sondern auch von Produktionsmitteln wie dem Pflug oder Saatgut. Wichtig wird vor allem aber der private Landbesitz und damit die private Verfügungsgewalt über die Ernte. Eine Einstellung, die Jägern und Sammlern völlig fremd war. Bei ihnen wurde die Beute gemeinsam geteilt und gehörte allen, der Familie, der Sippe, dem Stamm. Wo kämen wir denn hin, argumentierten hingegen die Ackerbauern, wenn einer sich die Arbeit macht, das Land zu bestellen, und andere sich einfach ohne eigene Anstrengungen der Früchte dieser Arbeit bedienen. Man lebte jetzt in Dörfern zum gemeinsamen Schutz der Felder und Ernten. Hirtennomaden nämlich fielen nur allzu gerne in die bebauten Flächen ein, um ihre Tiere dort weiden zu lassen. Vom Kampf der Hirten gegen die Ackerbauern erzählt die biblische Geschichte vom Brudermord von Kain und Abel. Die ersten Häuser im heutigen Sinne waren Rundhäuser. Man nimmt an, dass sie sich aus dem gemeinsamen Kreis rund um das Herdfeuer oder der Form der Nomadenzelte entwickelten. Schon früh wurden vergängliche Materialien durch Stein oder Lehm ersetzt. Stampflehm, der, wie der Name sagt, durch Verdichten zwischen einer Verschalung hergestellt und durch Pflanzenfasern stabilisiert wird, kam ebenso zum Einsatz wie luftgetrocknete Lehmziegel. Foto: Klaus-Peter Katzbach, Pixabay Bild: Darstellung/Nachbau eines Rundhauses aus Steinen Beide Formen kennt man bis heute. In Europa experimentiert man immer wieder einmal mit Stampflehmbauten, deren ausgeglichenes Raumklima man rühmt, wobei der Schutz gegen Regen und Luftfeuchtigkeit Probleme bereitet. Aus dem Punjab in Pakistan oder im rumänischen Donaudelta sind wie aus anderen Weltgegenden bescheidenere Wohnbauten bekannt. In allen Teilen Amerikas kennt man den Begriff „Adobe“ für Lehmziegelbauten. Spanische Eroberer sahen sich die Bauweise von den indigenen Völkern ab. In der Mesa Verde und im Gran Chaco bauten die wie ihre Dörfer als Pueblos bekannten Ureinwohner mehrstöckige Wohnhäuser, bei denen der Eingang zum Schutz vor Feinden mittels Leitern über die Dächer erfolgte. Bei allen, manchmal bis zu fünf Stockwerke hohen Pueblos waren die höheren Stockwerke immer ein Stück zurückversetzt und so über die außen angelehnten Leitern zu erreichen. Foto: Klaus-Peter Katzbach, Pixabay Bild: Wohnsiedlung „Taos Pueblo“, New Mexico (USA) Ein besonders gut erhaltenes und wenig verändertes Beispiel für diese Bauweise ist das heute noch bewohnte „Taos Pueblo“ in New Mexico. Es ist die älteste erhaltene und bis heute benutzte Wohnsiedlung der USA. Im palästinensischen Jericho, der möglicherweise ältesten Stadt der Welt, wurden 8.000 Jahre alte Lehmziegelbauten ergraben, aus dem syrischen Tell Halaf (4000 v. Chr.) sind vielräumige Feldsteinbauten bekannt, und auf Zypern entdeckte man ein Haus (3500 v. Chr.) mit einem halbkreisförmigen Zwischengeschoss in 2,30 Meter Höhe. Wozu mag es gedient haben? Zum Schlafen, zur Vorratshaltung? Bei all diesen Bauten, ob ein- oder mehrstöckig, erfolgte wohl ebenfalls der Zugang über die Dächer. Rechteckhäuser wurden parallel zu den überkommenen Rundbauten entwickelt. Sie bieten bei der Konstruktion mit Lehmziegeln und bei der Raumeinteilung Vorteile. Im nordirakischen Tell Hassuna nahe der heutigen Stadt Mossul wurde ein Gehöft aus den Jahren 5500 bis 5000 v. Chr. entdeckt, das europäischen Bauernhäusern der Neuzeit verblüffend ähnelt. Das Langhaus hatte einen Zugang von der Querseite, nicht mehr vom Dach. Ein die gesamte Hausbreite einnehmender Hauptraum, in dem sich die Feuerstelle

Foto: Brigitte Werner, Pixabay

Der Autor Hannes Hansen, *1940, † 2022 Geboren in Potsdam. Nach dem Abitur in Kiel Studium der Germanistik und Anglistik. Aushilfslehrer in England und Lektor für deutsche Sprache und Literatur in Swansea (Wales) und Dublin. Danach Gymnasiallehrer in Deutschland. Hannes Hansen fing schon früh an, für Zeitungen und Rundfunk zu arbeiten. Seit 1994 tat er das ausschließlich. Hannes Hansen hat, was man in der Branche einen „Bauchladen“ nennt, und arbeitet als freier Kultur- und Reisejournalist, Autor und Übersetzer für diverse Zeitungen und Rundfunksender. Zu seinen Buchveröffentlichungen gehört der 1986 erschienene „Vorschlag, das Marine-Ehrenmal zu Laboe von dem amerikanischen Künstler Christo einpacken zu lassen“, welchen Vorschlag besagter Künstler ablehnte – er war gerade mit anderem, nämlich mit dem Reichstag beschäftigt. Neben diversen Reise- und Städtebüchern veröffentlichte er die Romane „Die Rilketerroristen“ (1995) und „Die Stelle war gut gewählt“ (2002). WOHNEN zwischen Schutzbedürfnis und Luxus zwischen gestern, heute und morgen Die Eigentumswohnung vielseitig als Wohn- und Anlageobjekt Immobilienfinanzierung: Das Pro und Contra verschiedenener Methoden In Arbeit befindet sich das Themenheft: Versicherungen rund um die Immobile Ein Überblick Bald erhältlich Alle Themen dieser Reihe sind als gedrucktes Heft sowie als FlipBook oder PDFplus erhältlich. In dieser Reihe sind bisher folgende Titel erschienen: ➤ Folgende Titel befinden sich derzeit in der Aktualisierung: • Energieeinsparungen rund um das Haus • Die Immobilie als zukunftssichere und solide Kapitalanlage

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