LESEPROBE: WOHNEN

- 6 - Was bedeutet "wohnen" eigentlich? Meistens versteht man unter einer Wohnung einen abgeschlossenen Raum oder ein Ensemble zusammenhängender Räume. Zu wohnen befriedigt Urbedürfnisse wie den Schutz vor Feinden und den Unbilden der Witterung, den ungestörten Schlaf, die Essenszubereitung, gemeinsames Essen, Feiern oder auch die Vorratshaltung. Wohnen kann man in Einzelhäusern, in Etagenwohnungen, Hütten, Zelten, aber auch in Wohnmobilen oder Hausbooten. Weitere Bedürfnisse wie das nach Repräsentation und Machtdemonstration ziehen sich durch die Jahrtausende. Denken wir nur an den prachtvollen Palast von Knossos auf Kreta oder die Villenanlagen reicher Römer, etwa die berühmte Domus Aurea, das „Goldene Haus“ des größenwahnsinnigen Nero auf 80 Hektar Grundfläche. Auch die Residenzen mittelalterlicher Kaiser und Fürsten dienten nicht nur nebenbei solcher Machtdemonstration. Die Kaiserpfalz in Goslar oder die Burg Dankwarderode Heinrichs des Löwen sind bekannte Beispiele aus Deutschland. Die Medici und andere reiche Kaufmannsfamilien ließen sich im Florenz der Renaissance prächtige Palazzi bauen. Die weltlichen Fürsten demonstrierten, dem Beispiel Versailles nacheifernd, ihre Geltungsansprüche mit aufwendigen Schlossanlagen. Die Neuzeit sieht die Villen reicher Bürger wie in Hamburg entlang der Elbchaussee. In Hollywood prahlen Schauspieler und Produzentenmoguln mit Prunk- und Prachtbauten, und auch die himmelwärts stürmenden Hochhausbauten arabischer Scheichs sagen laut und deutlich: „Wir haben’s ja.“ Sie alle demonstrieren im besten und geschmackvollsten Fall nicht nur Geltungsbedürfnis, sondern eben auch Kunstsinn und ästhetischen Anspruch, im schlimmsten und vulgärsten Fall Gier und Geld. Vom Baumnest zur Höhle – Die Behausungen von Vor-, Ur- und Frühmensch Vor sechs bis sieben Millionen Jahren trennten sich in Afrika die Stammeslinien der Menschenaffen und der Vormenschen. Die zahlreichen, heute durchweg ausgestorbenen Vertreter der Gattung schliefen und ruhten wohl, wie ihre äffischen Verwandten auch heute noch, in Baumnestern aus Zweigen, Farnen und anderen Pflanzen und ernährten sich in dem damals paradiesisch feuchtwarmen Klima ganz überwiegend vegetarisch. Als es vor etwa zwei Millionen Jahren überall auf der Erde kühler wurde, verließen die bekanntesten unter ihnen, die Australopithecinen, die weniger werdenden Bäume und begaben sich in die Savannen und Steppen. Über Jahrhunderttausende breiteten sie sich in ganz Eurasien bis hin zum fernen China aus. Vor etwa zwei Millionen Jahren entwickelte sich aus ihnen die Gattung Homo, die der ersten Menschen im heutigen Sinne des Wortes. Auch sie spalteten sich in verschiedene Arten auf. Die meisten starben dann nach ein paar Jahrhunderttausenden wieder aus. Einer Art aber gehörte die Zukunft, nämlich dem Homo erectus, dem „aufrechten Menschen“, der sich als Erster seiner Gattung auf den Weg out of Africa machte und Europa und Asien besiedelte. In den Savannen ging er als Sammler und Jäger auf die Hetzjagd. Bild: Wanderungen des Menschen von Afrika über den Nahen Osten, Australien bis hin nach Nord- und Südamerika Der Homo erectus beherrschte bereits das Feuer. Zunächst wurde es wohl eher zufällig entdeckt, nach einem Buschbrand infolge von Blitzeinschlägen etwa. Irgendwann fand unser ferner Vorfahr heraus, dass man durch Gegeneinanderschlagen von Silex (Feuerstein oder Flint) und eisenhaltigem Pyrit Funken erzeugen und mit ihnen Büschel aus trockenem Gras oder Moos zum Brennen bringen konnte. Jetzt konnte er kochen und grillen, was die Nahrung leichter verdaulich machte, die Kalorienzufuhr erleichterte und damit die Größe und Leistung des Gehirns förderte. Auf seinen Wanderungen durch die Savannen schlief und ruhte der Homo erectus in Windschirmen aus Zweigen, Rinde und Gras, eine Form der Behausung, die bis heute für alle Gesellschaften von Wildbeutern typisch ist und etwa bei australischen Aborigines beobachtet werden konnte. Die Strandmuschel des modernen Freizeitmenschen und die Biwakzelte von Alpinisten und Wanderern mag man als die modernen Versionen solcher temporären Behausungen ansehen, Eigene Darstellung nach: Spektrum Online, Anthropogenese / https://www.spektrum. de/lexikon/biologie-kompakt/anthropogenese/716 | Geo Kompakt Ausgabe 4/2005 vor ca. 100.000 Jahren vor ca. 200.000 Jahren vor ca. 100.000 Jahren vor ca. 50.000 – 70.000 Jahren vor ca. 40.000 Jahren vor ca. 12.000 – 40.000 Jahren vor ca. 13.000 Jahren vor ca. 13.000 Jahren

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