LESEPROBE: WOHNEN

- 8 - ergab sich die Gelegenheit, durchaus gewogen war. Oder waren diese frühen Neandertaler-Homo-Sapiens-Begegnungen weniger von gegenseitiger Sympathie als von Me-too-Anlässen geprägt? Wir wissen nicht, was in dunklen, nur sparsam von flackernden Feuern erhellten Höhlen, an deren Wänden gespenstige Schatten tanzten, oder auf freiem Feld vor sich ging, und können nur das Schlimmste befürchten und auf das Beste hoffen. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass vor 40.000 Jahren der Neandertaler ausstarb und der Homo sapiens als einzige Menschenart die Erde zu bevölkern begann. Warum das geschah, ist bis heute ein Geheimnis: Mord durch seinen wendigeren Verwandten, den Homo sapiens? Nahrungsmittelmangel, eine Epidemie? Die Wissenschaft tappt im Dunkeln. Unser direkter Vorfahr scheint zunächst nicht sehr viel anders als sein Vetter, der Neandertaler, gelebt zu haben. Auch er liebte es, in Höhlen zu wohnen. Allerdings kam es im Vergleich zu ihm zu ungleich gesteigerter und qualitätsvollerer Kunstproduktion. Die Bilder von Tieren und Menschen in den Höhlen von Lascaux in Frankreich und dem spanischen Altamira reißen die Besucher zu enthusiastischen Äußerungen hin. Über ihre Funktion jedoch streiten sich die Gelehrten. Mal soll es sich bei ihnen um beschwörenden Jagdzauber handeln, dann wieder wird ein kultisch-religiöser Hintergrund vermutet oder aber Anschauungsunterricht für angehende Jäger. Genauso schwierig ist die Frage, ob diese Bildergalerien überhaupt im eigentlichen Sinne „bewohnt“ waren oder ob diese Orte nur zu besonderen Gelegenheiten wie einem Festmahl oder dem steinzeitlichen Äquivalent einer kirchlichen Messe aufgesucht wurden und man sich nach der Feier doch wieder in seine ungleich bescheidenere Höhle, in ein Zelt oder in eine Hütte trollte. Bild: Vereinfachte Darstellung einer Höhlenmalerei aus den Höhlen von Lascaux Viehzüchter und Ackerbauern – Die neolithische Revolution und ihre Folgen Um 12.000 v. Chr. kam es im Vorderen Orient zu einer Veränderung, die die Geschichte der Menschheit ebenso prägen sollte wie sehr viel später die Erfindung des Buchdrucks und die digitale Revolution unserer Tage. Die sogenannte neolithische Revolution ist gekennzeichnet vom Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise, vom Sammeln und Jagen zu Ackerbau und Viehzucht. Ein Prozess, der sich an die 7.000 Jahre hinzog, bis die mit ihm einhergehenden Veränderungen auch Mitteleuropa erreichten. Foto: Chris Stenger ,Pixabay Bild: Heutige Reisfelder in China (CHN) Irgendwann um die genannte Zeit müssen die Menschen entdeckt haben, dass sich aus den Überresten gesammelter Pflanzen beziehungsweise aus versehentlich weggeworfenen Körnern von Emmer, Einkorn, Gerste oder Dinkel rund um ihre Lagerstätten neue Pflanzen entwickelten und dass man folglich diese auch gezielt anbauen konnte. Diese Entdeckung geschah vermutlich an verschiedenen Orten der Erde − wenn schon nicht gleichzeitig, so doch unabhängig voneinander. Ein weiterer Geistesblitz bei einem oder wahrscheinlich mehreren unserer frühen Vorfahren, vermutlich der im Lager bleibenden Frauen, war dann die Überlegung, dass sich durch geregelte Aussaat und Zuchtwahl der kräftigsten und ertragreichsten Pflanzen und ihrer zufälligen Mutationen diese weiterentwickeln und so ein Mehr an Nahrungsmitteln produzieren ließ. Das geschieht in Gegenden, wo Bodenbeschaffenheit und Klima den Ackerbau ermöglichen, in den „grünen“ Gegenden des Vorderen Orients, dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond, in Syrien also, in Jordanien, dem Libanon, in Südwestanatolien und am Rand der arabischen Wüste. Schweine, Hühner, Gänse und Enten werden ebenso wie die Katze – ein notwendiger Mäusefänger in den Kornspeichern – domestiziert.

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