Die Legende von der Christrose und allerlei Wissenswertes über eine Blume im Winter - page 7

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Vorwort
von Prof. Dr. Klaus Böldl,
Nordisches Institut der Universität Kiel
Als Selma Lagerlöf Anfang der 1880er Jahre das Lehrerinnensemi-
nar in Stockholm besuchte, soll ihr während eines Spaziergangs durch
die Altstadt durch den Kopf gegangen sein, ob sie ihrer Heimat, der
nordwestschwedischen Provinz Värmland, nicht ebenso ein literarisches
Denkmal setzen könnte wie das etwa August Strindberg mit der Haupt-
stadt gelungen war. Diese Gegend mit ihren verschneiten Winterwäl-
dern, ihrer markigen bäuerlichen Bevölkerung, den rauschenden Festen
auf den Gutshöfen, den Sagen und Legenden, die man sich dort seit
Hunderten von Jahren zu erzählen pflegte: Hatte sie es nicht ebenso ver-
dient, auf der literarischen Landkarte zu erscheinen wie das pulsierende
Stockholm?
Der Weg zur anerkannten Schriftstellerin sollte sich für Selma indes-
sen als lang und steinig erweisen. Zunächst mühte sie sich damit ab, ihre
Heimat in Versen zu beschwören, bis Sophie Adlersparre, Herausgebe-
rin der Zeitschrift
Dagny
und führende Frauenrechtlerin Schwedens, sie
glücklicherweise davon überzeugen konnte, sich in Prosa zu versuchen.
Es vergingen allerdings noch einmal fast zehn Jahre, bis Selma 1891
ihren ersten Roman
Gösta Berling
vorlegen konnte: Zu den frühvollende-
ten Dichterinnen zählte sie nicht gerade.
Doch während ihr ein Jahr jüngerer Kollege Knut Hamsun im Jahr
zuvor in Norwegen mit seinem modernistischen Romandebüt
Hunger
einen sensationellen Erfolg feiern konnte, wurde Selmas Erstling ausge-
sprochen kühl aufgenommen. Das hatte zum einen schlichtweg damit zu
tun, dass sie eine Frau war, und das literarische Establishment im Schwe-
den der damaligen Zeit fast ausschließlich aus Männern bestand – einer
der schärfsten Kritiker des
Gösta Berling
, Carl David af Wirsén, sollte
als Mitglied der Schwedischen Akademie noch viele Jahre später nichts
unversucht lassen, um die Nobelpreisverleihung an Selma Lagerlöf zu
verhindern.
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