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Die Irritation über den Roman von den lebenslustigen Kavalieren

auf dem värmländischen Gut Ekeby hat freilich noch andere, nämlich

ästhetische Gründe. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war in Skan-

dinavien eine recht freudlose, meist auch ästhetisch wenig ansprechen-

de sozialkritische Literatur vorherrschend. Aufgabe der Literatur sei es,

gesellschaftliche Probleme zur Debatte zu stellen, hatte der dänische

Literaturkritiker Georg Brandes Anfang der 1870er Jahre verkündet. Im

Lauf der Jahre änderte diese wichtigste Autorität des damaligen skan-

dinavischen Literaturbetriebs ihre Anschauungen; er förderte Henrik

Ibsen, er entdeckte Knut Hamsun – und er schrieb 1893 eine Rezen-

sion über

Gösta Berling

, die zwar einen etwas generös-herablassenden

Ton gegenüber der jungen Debütantin anschlägt, aber doch erkennt,

dass sich hier eine neue und gewichtige Stimme zu Wort gemeldet hat.

Mit dieser Referenz des mächtigen Kritikerpapsts war Selma als Autorin

durchgesetzt – seine Leser hatte das Buch trotz der oftmals bösen Kriti-

ken ohnehin allmählich gefunden. Nach den dürren Jahren der naturalis-

tischen Problem- und Debattenliteratur dürfte es von vielen geradezu als

Erlösung empfunden worden sein, dass die Phantasie, das Mythische und

Sagenhafte nun in der Literatur wieder in ihre Rechte gesetzt wurden.

Auch die folgenden Lesergenerationen wussten dies zu schätzen: Neben

Hans Christian Andersen, Henrik Ibsen und Knut Hamsun zählt Selma

Lagerlöf bis heute zu den meistgelesenen Klassikern des Nordens.

Die folgenden Romane und Novellensammlungen waren so erfolg-

reich, dass Selma ihre Stelle als Lehrerin bald aufgeben konnte. Sie lebte

nun eine Zeitlang in Dalarna, der traditionsverhafteten Provinz Schwe-

dens schlechthin. 1908 sollte es ihr vergönnt sein, ihre Kindheitswelt

zurückzuerobern, indem sie das Gut Mårbacka erwarb, auf dem sie

aufgewachsen war, das die Familie aber unter dramatischen Umständen

verloren hatte. Diese traumatischen Erfahrungen, insbesondere auch der

Alkoholismus des Vaters und in Zusammenhang damit die Thematik von

Schuld und Vergebung, tauchen in Selmas Geschichten in verschiede-

nen Verkleidungen in geradezu zwanghafter Weise immer wieder auf;

sie bilden, könnte man sagen, die autobiographische Grundierung ihres

Werkes.

Lange Zeit hat man in der Literaturwissenschaft Selma Lagerlöf

als „Märchentante“ abgetan, deren einfältige und stilistisch scheinbar

anspruchslose Texte keine eingehende Beschäftigung verdienen. Heute ist