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zu finden, das angelehnt stand. Als die Räubermutter dort hinkam, stieß

sie sogleich die Tür auf und trat ein, ohne um Erlaubnis zu fragen, wie es

eben ihre Art war.

Das Kloster Öved wurde zu jener Zeit von dem Abt Hans geleitet,

der ein kräuterkundiger Mann war. Er hatte sich hinter der Klostermauer

einen kleinen Garten angelegt, und in diesen drang nun die Räubermut-

ter ein.

Im ersten Augenblick war sie so erstaunt, dass sie am Eingang

regungslos stehen blieb. Es war Hochsommerzeit, und der Garten des

Abtes Hans stand so voll von Blumen, dass es einem blau und rot und

gelb vor den Augen flimmerte, wenn man hineinsah. Aber bald breitete

sich ein vergnügtes Lächeln über das Gesicht der Räubermutter, und sie

begann einen schmalen Pfad entlang zu gehen, der zwischen vielen klei-

nen Blumenbeeten hindurchlief.

Im Garten ging ein Laienbruder herum und jätete Unkraut. Er war

es, der die Tür in der Mauer halb offen gelassen hatte, um Quecken-

gras und Melde auf den Kehrichthaufen davor werfen zu können. Als

er die Räubermutter mit ihren fünf Bälgern im Schlepptau in den Gar-

ten treten sah, stürzte er ihnen sogleich entgegen und befahl ihnen, sich

zu trollen. Aber das Bettelweib lief einfach weiter. Sie ließ ihre Blicke in

alle Richtungen schweifen, sah bald die starren weißen Lilien an, die sich

auf einem Beet ausbreiteten, und bald den Efeu, der die Klosterwand

emporkletterte, und bekümmerte sich nicht im geringsten um den Lai-

enbruder.

Der Laienbruder dachte, sie habe ihn nicht verstanden. Da wollte er

sie am Arm packen, um sie nach dem Ausgang umzudrehen. Aber als die

Räubermutter seine Absicht merkte, warf sie ihm einen Blick zu, vor dem

er zurückprallte. Sie war unter ihrem Bettelsack mit gebeugtem Rücken

gegangen, aber jetzt richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf.

– „Ich bin die Räubermutter aus dem Göinger Wald,“ sagte sie, „rühr

mich nur an, wenn du es wagst.“ Und es sah aus, als ob sie nach diesen

Worten ebenso sicher wäre, unbehelligt ihres Weges ziehen zu können,

als hätte sie verkündet, dass sie die Königin von Dänemark sei.

Aber der Laienbruder wagte es dennoch, sie zu behelligen, wenn er

auch jetzt, wo er wusste, wer sie war, begütigend zu ihr sprach. – „Du

musst wissen, Räubermutter,“ sagte er, „dass dies ein Mönchskloster ist,

und dass es keiner Frau im Lande gestattet ist, sich innerhalb dieser Mau-